„Cyberkrank!“ lautete der Vortrag, zu dem die Buch- und Kunsthandlung Maria Laach den renommierten Hirnforscher Professor Dr. Manfred Spitzer gewinnen konnte, Professor an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie III in Ulm und Autor des Bestsellers „Digitale Demenz“.
Gleich zu Beginn räumte der Referent im Laacher Forum mit der Vorstellung auf, das Gehirn mit einem Computer gleichzusetzen. Wer ein Instrument, eine Fremdsprache, eine handwerkliche Fähigkeit beherrscht, wird ein weiteres Instrument, eine neue Sprache, eine andere handwerkliche Fähigkeit leichter erlernen. Und die Lernbegabung wächst mit jeder weiteren Fähigkeit, die wir uns hinzu aneignen, ob im musischen, sprachlichen oder handwerklichen Bereich. Die Festplatte wird also nicht voll, sondern erweitert sich durch ständiges Training. Durch die ständige Nutzung gleicher Hirnbahnen verbessert sich die Leitung der Impulse. In den ersten zwei Jahrzehnten entwickeln sich Gehirne im Austausch mit der Umwelt, erklärte Manfred Spitzer: „Laufen lernt das Kind von Fall zu Fall. Und unsere Muttersprache eigneten wir uns an, ohne Grammatik zu pauken. Viele unserer geistigen Leistungen macht unser Gehirn für uns. Unser Gehirn hat eine verrückte Eigenschaft: Je mehr schon drin ist, desto mehr passt noch rein.“ Die Tatsache, dass sich unser Gehirn durch seine Nutzung ändert und verbessert, sei immer mehr in Vergessenheit geraten, so der Referent, ebenso die Tatsache, dass wir etwas wissen müssen, um mit der Datenmenge im Netz zurecht zu kommen: „Suchmaschinen können sie nur dann bedienen, wenn sie was wissen. Wenn Sie gar nichts wissen, haben Sie auch keine Frage, dann googeln Sie sowieso nicht. Aber wenn Sie ein bisschen was wissen und fangen an zu googeln, haben Sie ganz schlechte Karten. Denn Sie müssen ja Ihr Vorwissen nutzen, um die Spreu vom Weizen zu trennen. Wenn Sie im Bereich Medizin googeln, ist es gut, vorher Medizin studiert zu haben. Und das gilt für jeden Bereich, ob als Autohändler, ob als Klempner. Es gibt richtig Gutes auf Wikipedia, aber es gibt auch viel Blödsinn. Googeln bringt demjenigen was, der sich gut auskennt.“ Gegen die voranschreitende Vernetzung im Bildungssystem führte der Referent mehrere Studien an: „Niemand wird schlauer durch Computer an der Schule. Die schwachen Schüler werden schlechter und die guten nicht besser.“ Wissenschaftliche Studien haben herausgefunden, dass sich Studenten bei Vorlesungen, wenn sie per Hand mitschreiben, mehr merken als diejenigen, die die gleichen Inhalte per Tastatur in ihren Computer tippen. Eine britische Studie mit 130.000 Schülern an 90 Schulen konnte feststellen, dass sich die Durchschnittsnoten nach einem Handyverbot verbesserten. Und Spitzer führte seinen Zuhörern die Bedeutung des Wortes „begreifen“ vor Augen. Nobelpreisträger würden sich von anderen Menschen lediglich darin unterscheiden, dass sie in ihrer Kindheit mehr Bauklötze gehabt hätten. Manfred Spitzer: „Das menschliche Gehirn muss sich in den ersten zwei Lebensjahrzehnten noch entwickeln. Ein Bildschirm und ein Lautsprecher ist ja im Vergleich zur realen Welt eine Verarmung. Da ist nichts zum Anfassen. Wenn ich nur wische, lerne ich nicht, dass ich ein Glas anders anfasse als einen Malstift. Jeder Vierjährige kann das, es sei denn, er hat die ersten Lebensjahre nur mit Wischen verbracht. Man muss ja die komplexen Bewegungen erlernen.“ Das Begreifen der Gegenstände hilft Kindern, darüber nachzudenken, nicht das Vorführen und Hinweisen auf Bildschirmen. Aus diesem Grund warnt Spitzer vor einer Digitalisierung von Kindergärten, Schulen und Kinderzimmern: „Eine erdrückende Lobby – bestehend aus einer Allianz von Herstellern, Medienmachern und vielen Medienpädagogen – verspricht uns täglich das goldene Zeitalter der Bildung durch digitale Technik. Fakt hingegen ist, dass digitale Technik einen massiven Anschlag auf die Kindheit durch die Einschränkung der Sinne und der körperlichen Bewegung darstellt, den es abzuwehren gilt. Die Aufgabe von Eltern und Erziehern kann daher nur darin bestehen, die Kinder vor digitalen Medien zu schützen!“ Bericht: E.T. Müller, Medienbüro Burgbrohl